Großraumbüros sind immer ein heikles Thema. Wie es aber auch diesmal zu einem Freispruch durch manipulative Beweisführung kommt, zeigt die Zeitschrift Personalwirtschaft.
Dass Großraumbüros gerade in Verbindung mit Desksharing und anderen modernen Errungenschaften immer mehr in die Kritik geraten, kann kaum mehr verleugnet werden. Deshalb erscheint es angebracht, dass sich die Personalwirtschaft (2/2019) auf dem Titelbild und auf einigen (wenigen) Seiten diesem Thema widmet. Was aber passiert und wie das gemacht wird, erscheint doch ziemlich fragwürdig und ist demnach einen Eintrag in den Reiseführer „Per Anhalter durch die Arbeitswelt“ wert. Denn am Schluss dieser Argumentation der Autorin steht ein klares Plädoyer genau für diese Bürowelt.
Schritt 1: Formulierung der Frage
Die Titelüberschrift formuliert die klare Frage, um die es geht:
„Lost in Open Space – moderne Bürolandschaften auf dem Prüfstand“.
Man hätte auch schreiben können:
„Moderne Bürokonzepte – Der Lack ist ab.“
Hat man aber nicht. Denn das Ergebnis aus dem Prüfstand sieht anders aus.
Schritt 2: Verharmlosung und Definitionswirrwarr
Jetzt könnte man erwarten, dass Statistiken präsentiert werden, die klar machen, welche Merkmale mit derartigen Konzepten – egal ob man sie Großraum nennt oder nicht – im Regelfall verbunden sind. In einem ehrlichen Text würden jetzt ziemlich viele negative Befunde kommen, wenn man von methodisch fragwürdigen und ganz sicher nicht ergebnisorientierten Auftragsarbeiten absieht. Denn Studien zu derartigen neuen Büroformen sind kaum vorhanden, nach denen Fluktuation und Krankenstand sinken beziehungsweise Innovation und Produktivität steigen. Aber konkret bleibt das alles abgesehen von einigen Andeutungen im Unklaren. Stattdessen bringt die Autorin dieses Beitrages (Christiane Siemann) den humoristischen Hinweis darauf, dass diese neuen Büroformen ein Konjunkturprogramm für die Hersteller von Kopfhörern sind.
Schritt 3: Verunglimpfung von Kritikern
Stellvertretend für viele andere Forscher, die sich sehr kritisch mit allen diesen Konzepten befassen, geht es jetzt um den …
„… Bedenkenträger Christian Scholz […], der schon 2016 im Manager-Magazin über moderne Großraumbüros ätzte.“
Nun, das passt zwar zu einer Aussage der Personalwirtschaft aus dem Jahr 2014(„Untergangsprophet Scholz hat viele solcher Dystopien auf Lager“), relativiert aber die nachfolgende und von ihr zitierte Grundaussage aus dem von ihr kritisierten Artikel aus dem Manager-Magazin.de, der über 60.000 mal gelesen wurde:
„Auch wenn puristische Architekturkonzepte modern und preisgekrönt sind, lösen manche Entwürfe bei Betroffenen eher negative Assoziationen wie Bunker, Fabrikhalle oder Gefängnis aus. Anderes erinnert an die Arbeitsstätten der Näherinnen in Bangladesch, an gläserne Tiefkühlschränke oder Massentierhaltung.“
Diese Aussage bezieht sich auf die Reaktion von Betroffenen. Doch wenn die Autorin des Beitrags Eindrücke der Betroffenen als „zynisch“ brandmarkt, zeugt dies nicht von einer gefährlichen Doppelmoral? Danach wären nicht diejenigen menschenverachtend, die derartige Großraumbüros in Deutschland schaffen, sondern diejenigen, die dies kritisieren. Oder anders ausgedrückt: Solange es bei uns nicht wie in Bangladesch ist, darf sich dann niemand beklagen?
Aber sind wir dann nicht erneut bei der Diskussion um FridaysForFuture, wo auch Politiker und einige Medienvertreter den Jugendlichen das Recht absprechen, sich in derartige Debatten offensiv einzubringen?
Schritt 4: Erfolgsgeschichte Großraumbüro
Die vorsortierte Wirklichkeit (und das kennen wir schon aus dem einen oder anderen makaberen Fall) nimmt jetzt in der Personalwirtschaft voll Fahrt auf. Denn noch vor dem eigentlichen Höhepunkt ihrer Beweisführung lässt sich die Autorin die schöne neue Arbeitswelt im Interview aus einem Unternehmen aus Berlin schildern. Esl wäre journalistisch sauber gewesen, eine Story dagegen zu setzen, wo dieses Bürokonzept zu deutlichen Problemen führt. Derartiges hätte man relativ einfach im Netz (zum Beispiel hier) finden können. Doch irgendwie überrascht es nicht, dass so ein Interview nicht kommt.
Schritt 5: Propaganda-Artikel für Open Space
Zur Krönung und zum Höhepunkt kommt statt dessen ein umfangreiches Interview der Autorin mit Udo-Ernst Haner, der landauf landab seit Jahren in seiner Funktion als Unternehmensberater aus dem Fraunhofer Institut für Arbeitswissenschaft und Organisation für die Kombination aus Großraumbüro plus Desksharing plus Activity Based Working trommelt, jetzt mit der dritten Namensänderung: Seit der Orgatec 2018 wird nicht mehr von Großraumbüro und nicht mehr von Open Office gesprochen, sondern vom „Multi Office“ – streng nach der Devise „Raider heißt jetzt Twix, … sonst ändert sich nix“.
Natürlich wäre es wieder journalistisch sauber gewesen, einen Kritiker dieses Konzeptes und der als Literaturquellen beigefügten Studien aus dem Fraunhofer Institut dagegen zu setzen. Aber dann hätte die implizite Pointe von Christiane Siemann nicht gezündet:
„Ja, wir haben die neuen Bürokonzepte gründlich getestet und die Personalwirtschaft hat sie für gut befunden.“
Glaubt die Personalwirtschaft wirklich, die Leserinnen und Leser schlucken eine derartig einseitige Botschaft, die vom Chefredakteur Cliff Lehnen in seiner Hefteinführung allenfalls marginal relativiert wird?
P.S. Douglas Adams beschreibt in seinem Reiseführer „Per Anhalter durch die Galaxis“ das Phänomen der vorsortieren Wirklichkeit, wennZaphod Beeblebroxerklärt wird, was auf dem Froschstern mit ihmpassiert: „Du wirst dem Totalen Durchblicksstrudelverfüttert. Und das ist nicht lustig. Man kann jemanden töten, seinen Körper zerstören, seinen Geist zugrunde richten, aber allein der Totale Durchblicksstrudel kann die Seele vernichten. Es dauert nur Sekunden, aber die Wirkung hält für den Rest deines Lebens an.“ Daher warnt auch der Reiseführer „Per Anhalter durch die Arbeitswelt“ vor dem Totalen Durchblicksstrudelakader vorsortierten Wirklichkeit.
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