Wieder einmal gab es etwas zur schönen neuen Arbeitswelt. Diesmal im Radio. Und diese Sendung ist in doppelter Hinsicht bemerkenswert: Zum einen zeigt sie inhaltlich sehr schön, mit welchen Argumenten gegen humane Arbeitswelten argumentiert wird. Zum anderen liefert sie Informationen dazu, mit welcher manipulativen Rhetorik derartige Sendungen arbeiten.
Gesprächsrunden im Radio sind etwas Gutes – vor allem wenn sie live sind. Nicht abgelenkt von Äußerlichkeiten geht es um Inhalte und Positionen. Bei Gesprächsrunden gibt es zwei Formate, die gleich wirken, aber diametral zu einander stehen:
Im Format „Diskussion“ prallen teilweise eloquent mit dem Florett vortragene Positionen ergebnisoffen aufeinander. Großartig. Und wenn dann noch fast eine Stunde Zeit ist: umso besser. Der Autor dieses Textes hat schon öfters an derartigen „echten“ Diskussionen teilgenommen – und es immer genossen.
Im Format „Scripted Reality gesponsert von!“ dagegen steht das Ergebnis drehbuchfixiert fest – wie in manchen Reality Shows, die normalerweise auf Sendern vom Typ RTL2 laufen. Aber auch auf anderen Sendern findet dieses Konzept statt: Der normale Zuhörer, der sozialromantisch-naiv an Neutralität, Objektivität und Journalismus im öffentlich-rechtlicher Rundfunk glaubt, vertraut dem, was da aus dem Radio kommt. Was er nicht merkt: Er wird bereits durch das Format manipuliert.
Lieber Wanderer durch die Arbeitswelt: Wenn Du in den unendlichen Weiten des Rundfunks auf eine Gesprächsrunde stößt, dann prüfe gut, ob es sich um eine „Echte Diskussion“ oder um eine „Scripted Reality gesponsert von!“ handelt.
Mein bisheriges Paradebeispiel für „Scripted Reality gesponsert von!“ war das Hochschulquartett vom Deutschlandfunk (->hier), in dem vier Verfechter einer sehr starken Hochschulleitung darüber diskutierten, wie man Rektoren sowie Präsidenten von Fachhochschulen und Universitäten noch stärker machen könnte. Und natürlich war auch ein Unternehmensberater dabei, der derartige Stärkungsmittel verkauft: So gesehen ist „gesponsert von“ metaphorisch gemeint und kein Hinweis auf Geldzahlungen an den Sender oder die Moderatoren.
Natürlich kann man drei Veganer und einen Produzenten von veganen Lebensmitteln im Radio über den optimalen Brotbelag „streiten“ lassen. Aber bereits der Teilnehmerkreis schließt echte Wurst auf dem Brot aus. Wenn dann im Radio nur noch über vegane Kost gesprochen wird, werden wir irgendwann davon ausgehen, dass Veganern die Zukunft gehört.
Medien machen Wirklichkeit. Das gilt gerade für Gesprächsrunden vom Typ „Scripted Reality gesponsert von!“. Hier verbirgt sich die unendliche Macht von Content-Produzenten im Radio.
Für Nicht-Insider: Man differenziert in der Medienwissenschaft zwischen „Content-Produzenten“, die im wahrsten Sinne des Wortes beliebige Inhalte liefern, und Journalisten, die wirklich so journalistisch korrekt arbeiten, wie man es aus Hollywood-Filmen kennt.
Überlebenshilfe im Frequenzen-Dschungel: Bei „Echter Diskussion“ alle anderen Geräte ausschalten und hinhören. Bei „Scripted Reality gesponsert von!“: sofort das Radio ausschalten und lieber noch einmal die Sonntagszeitung mit dem großen Bild auf der Titelseite lesen!
Doch jetzt zum neuen Fall, der wieder vom Deutschlandfunk kommt (-> hier): Auf den ersten Blick wirkt alles richtig. Es geht um Großraumbüros. Doch bei näherem Hinschauen (beziehungsweise korrekter: „Hinhören“) offenbart sich perfektes „Scripted Reality gesponsert von!“ Und das alles war so krass, dass diese Sendung einen Eintrag in den Reiseführer „Per Anhalter durch die Arbeitswelt“ verdient.
Alles beginnt mit der Ausgangsfrage und damit beginnt die Manipulation.
Manipulation #1: Die Ausgangsfrage ist eigentlich nur Bluff und dient dazu, ein vorgefertigtes Ergebnis medial zu verfestigen.
Einige Tage vor der Radiosendung telefoniert die Moderatorin mit dem Autor dieses Blogs. Hier setzt sie bereits am Anfang unseres kleinen Telefonats den Rahmen für ihr Gesprächsuniversum und erklärt mir, dass Großraumbüros sowieso kommen und man jetzt schauen müsse, wie man sie vernünftig gestaltet. Aus. Fertig. Klare Botschaft.
Vielleicht war es ein Fehler, ihr zur Vorbereitung für das bereits terminierte Telefonat zwei Texte zu schicken, aus der meine Position hervorgeht. Wie dem auch sei: Nach ihrem Eröffnungssatz war klar, dass ich weder in ihre Sendung eingeladen werde noch überhaupt daran teilnehmen möchte.
Mein erster Impuls: Einfach auflegen. Mein zweiter Impuls als medienwissenschaftlich interessierter Forscher: mal sehen, wie diese Moderatorin so tickt und ob sie mir zum Abschluss das (hinlänglich bekannte) vergiftete Bonbon anbietet.
Diese Ausgangsfrage bestimmte die gesamte Sendung. Es ging immer nur darum, wie man denn mit dem alternativlosen Großraumbüro umgeht. Also:
Manipulation #2: Bei „Scripted Reality gesponsert von!“ gibt es im Regelfall als Pro-Position einen Praktiker, der zeigt, dass das alles bei ihm (und auch sonst) toll funktioniert. Als Contra-Position kommt ein Wissenschaftler (aber kein Wirtschaftswissenschaftler!), der Probleme ins Gespräch bringen möchte – die aber in dieser Form niemanden interessiert.
Bei einer „Scripted Reality gesponsert von!“ wird die Pro-Position von einem betriebswirtschaftlichen Praktiker eingenommen, der in der Sprache der Praktiker für die Praktiker die betriebswirtschaftliche Eindeutigkeit dieser Praxis betont. Die Contra-Position nimmt im Regelfall ein Nicht-Betriebswirt ein, der soziologisch/psychologisch argumentiert, was aber nicht jeden interessiert.
Deswegen kommt bei einer „Scripted Reality gesponsert von!“ zu Großraumbüros (egal ob im Radio oder in einer gesponserten Praktiker-Konferenz) selten betriebswirtschaftliches Contra im Stil: „Großraumbüros rechnen sich betriebswirtschaftlich nicht!“ – weil Vertreter aus dieser Ecke überhaupt nicht als Diskutanten zugelassen werden.
Spricht man – so auch in diesem Fall – die Frage an, ob nicht einfach eine andere Person auch noch in die Sendung eingeladen werden könnte, kommt nicht die Antwort, dass dies einfach nicht in die feststehende Dramaturgie der „Scripted Reality gesponsert von!“ passt, sondern man bekommt lustige Pseudo-Argumentation: Beim Hochschulquartett war es die Besetzung des Quartetts, die immer die gleiche sei; das hat natürlich nicht gestimmt, wie man unschwer an den tatsächlichen Gästen gesehen hat).
Bei der hier behandelten Sendung zum Großraumbüros war es der Hinweis, dass ein Dialog zwischen zwei Gästen in der Sendung für Zuhörer einfacher zu folgen sei; das ist im Prinzip richtig, hat sich aber durch die Gästezahl n=3 in der Sendung rasch als Pseudo-Argument entlarvt. Dass dies inklusive der Moderatorin zu einem konsequenten 3,5 :0,5 pro Großraumbüro führte, gehörte zur Inszenierung.
Manipulation #3: Die entscheidende Frage, die wie der obligate Elefant im Raum steht, wird nicht gestellt.
Es war auffällig: Die Zuhörer, die ins Studio geschaltet wurden, waren überwiegend gegen das Großraumbüro. Das hat aber niemanden interessiert. Es ging immer nur um die Frage, wie man denn das alternativlose Großraumbüro akzeptabler machen kann. Kleine Lichter, die leuchten, wenn man zu laut ist. Partizipation, in dem Mitarbeiter die Farbe vom Sofa oder das Motto der Bürolandschaft festlegen dürfen. Das war so ziemlich alles. Und weiterhin die Unausweichlichkeit des Großraumbüros.
Ist es eigentlich nicht grotesk: Mitarbeiter schein-partizipatorisch „einbeziehen“ (bei Kleinigkeiten), damit man trotz allen Bedenken und Schwierigkeiten im Großraumbüro arbeiten kann?
Aber die Frage: „Brauchen wir überhaupt Großraumbüros?“ wurde nicht gestellt.
Damit sind wir wieder bei der Ausgangsfrage, die in Wirklichkeit eine einzige Argumentation Pro-Großraumbüro ist.
Manipulation #4: Heiße Fake News kühl serviert
Auch hier gab es im Telefonat ein schönes Beispiel, als mir die Moderatorin doch allen Ernstes erklärte, dass „die“ jungen Menschen derartige Großraumbüros lieben, weil sie sowieso total gerne frei und flexibel mal hier, mal dort und auf jeden Fall ohne Schreibtisch arbeiten wollen. Nur ältere Menschen beharren auf ihrem Schreibtisch.
Nun, dem ist nichts hinzuzufügen – außer, dass diese Aussage in der Sendung dann doch nicht getroffen. Stattdessen die allseits akzeptierte These, wonach Home Office die Zukunft ist. Oder wie es Unternehmensvertreter so schön formulierte: Aussage „Mein Büro ist meine Tasche“.
Wieder nicht gefragt: Wollen das die Menschen wirklich? Vielleicht finden die Moderatorin und ihre drei Gäste das Arbeiten im verordneten Home Office ohne reale Sozialkontakte lustig, aber sonst ist dafür keine Mehrheit zu finden.
Manipulation #5: Es gibt die Rolle des dumm-platt-doofen Ewig-Gestrigen, von dem in vorgefertigt-kontrollierter Form einige Worte eingespielt werden, die als feigenblattartiger Beleg für die Offenheit der Content-Produzenten dienen, vor allem aber zur Publikumsbelustigung.
Jetzt kommt das oben angesprochene „vergiftete Bonbon“, das ich schon vom Telefonat mit dem Hochschulquartett her kannte: Dort war es das Angebot, einen gesprochenen Satz als Audiodatei zu schicken, der dann vielleicht eingespielt würde. Das habe ich natürlich nicht gemacht: Dafür wurde ein Zitat von mir vorgelesen, in dem ich den zunehmenden präsidialen Feudalismus an deutschen Universitäten kritisierte. Diese Satz verursachte lautstarkes Gelächter. Und Herr Ziegele wies auf eine Untersuchung hin, nach alle Hochschulleitungen vollkommen partizipativ und demokratisch agieren. Was im Gelächter über den dumm-platten Doofen mit seiner These der feudalistischen Hochschulleitungen unterging: Herr Ziegele hatte Präsidenten und Rektoren befragt, die sich natürlich alle als vollkommen partizipativ und demokratisch einstuften.
In der Sendung zum Großraumbüros bekam ich den Hinweis, dass es ja ein Zuhörertelefon gibt, wo ich anrufen und mich äußern könne. Ja, da war es wieder, das vergiftete Bonbon! Das hätte ich natürlich nehmen können: Aber dann wäre vermutlich aus meiner Aussage ein „passender“ Satz herausgenommen und „passend“ in die Diskussion eingebracht worden. Ergebnis: Siehe oben. Natürlich habe ich auch dieses Bonbon nicht geschluckt.
Mogelpackung #6: „Framing“
Bei der Ausrichtung der Sendung exklusiv auf die Frage, wie wir denn die alternativlosen Großraumbüros etwas weniger negativ-erlebbarer machen können, übernimmt die Moderation brav und völlig unkritisch die Unausweichlichkeits-Propaganda der Produzenten derartige Bürowelten und von Anwender-Unternehmen wie Lufthansa, Daimler sowie Siemens.
Wer sich etwas mit Sprache auskennt, hat sofort gemerkt: Die Moderatorin praktiziert lehrbuchhaftes „Framing“. Sie schafft also einen ganz spezifischen und alternativlosen Deutungsrahmen.
Sätze wie „Wenn es schon keine Alternativen für Großraumbüros gibt“ und „Warum ist das eigene Büro nicht mehr tragbar“ sind brutales und hinterhältiges Framing. Denn die Moderatorin hätte ja auch fragen können „Gibt es wirklich keine Alternativen für Großraumbüros““ oder „Ist das eigene Büro wirklich nicht mehr tragbar?“
Und statt Fragen vom Typ „Wie wir die Arbeit im Großraumbüro etwas erträglicher gestalten“ hatte die Moderatorin folgende Frage aufwerfen können: „Was sollten Mitarbeiter und Betriebsräte tun, um Großraumbüros zu verhindern?“.
Und damit spielt sie besonders von Unternehmen wie Philips und Microsoft in die Karten, die derartige Bürowelten propagieren, gleichzeitig aber mit ihren Angeboten und Werksführungen Werbung machen, beispielsweise für Informationstechnologie und Beleuchtungskonzepte. Also:
Manipulation #7: Sendungen vom Typ „Scripted Reality gesponsert von!“ haben eingestreute Werbeblöcke
Aber vielleicht muss das ja so sein, dass Verkäufer von und Berater für Großraumbüros miteinander diskutieren.
Was bleibt?
Vergleicht man das Hochschulquartett mit diesem Vorfall, so war das damalige Hochschulquartett harmlos, weil hier gleichgesinnte Verfechter eines präsidialen Bologna-Feudalismus wechselseitig ihre Vision der zukünftigen Hochschule bejubeln – und das Thema kaum jemanden interesiert.
Diese Sendung ist viel gefährlicher: Denn hier werden Großraumbüros dargestellt, die wahren Motive für ihre Einführung allenfalls am Rande berührt. Stattdessen wird darüber diskutiert, wie man das Großraumbüro noch besser und noch großartig, also letztlich noch verlogener machen kann,
Manipulation #8: Sendungen vom Typ „Scripted Reality gesponsert von!“ decken keine Mogelpackungen auf, sie verbreiten Mogelpackungen.
In dieser Sendung wurde auch nicht einmal ansatzweise der Versuch gemacht, die „Mogelpackung Großraumbüro“ aufzuschnüren. Das erinnert fatal an die Zeit, in der nahezu alle Medien vollkommen unkritisch das hohe Lied auf die fantastische „Bologna-Reform“ gesungen haben, Kritiker fast nie zu Wort kamen und am Schluss auch die Studierenden überzeugt waren, die „Bologna-Reform“ wäre zum Glück unvermeidlich, weil sie schließlich ihnen Schlüssel zur Glückseligkeit liefert.
Genau das erleben wir in diesem Beitrag (und in nahezu allen anderen Artikeln und Sendungen zu diesem Thema): Großraumbüros kommen. Großraumbüros kann man ganz toll gestalten. Großraumbüros sind alternativlos. Immerhin hat der hoch kompetente Wissenschaftler an mehreren Stellen versucht, die Wichtigkeit der Einzelbüros hervorzuheben, doch leider nur kurz die Chance zum Hinweis gehabt, dass Menschen emotionale Wesen sind. In dem konkreten Fall hat er auf das Bedürfnis auf Heimat hingewiesen und dass der eigene Schreibtisch geanu diese Funktion hat. Denn: Ein selber gestaltbarer Schreibtisch ist für Menschen wichtig.
Trotzdem: Wenn man dann noch die Beleuchtungskonzepte von Philips dazu nimmt (ja, der Vertreter dieses Lampenherstellers als umtriebiger Ausstatter von Großraumbüros war der Praxisvertreter in dieser Sendung vom Deutschlandfunk), dann strahlen alle gegenwärtigen und zukünftigen Großraumbüros in lebensbejahend schönen Farben.
Tragisch: Besonders begehrtes Objekt der Begierde von Framing und allen anderen Manipulationstechniken vom Typ „Scripted Reality gesponsert von!“ ist die Jugend.
Diese im Rahmen dieses kleinen Beitrags angesprochen Sendung vom Deutschlandfunk läuft unter der Rubrik „Campus & Karriere: Das Bildungsmagazin”. Und das ist bemerkenswert. Hier werden Jugendliche zu Lemmingen transformiert, die willenlos einem vorgegebenen Pfad („Karriere“) hinterherlaufen sollen.
Warum informiert die Moderatorin nicht darüber, dass es Unternehmen gibt, die es anders machen? Oder macht Jugendliche darauf aufmerksam, dass man ja nicht zu Lufthansa, Daimler, Siemens und Microsoft gehen muss (Stichwort: Mittelstand)? Oder dass man sich im Betrieb wehren kann? Oder auf die Einführung derartiger menschenverachtenden Großraumstrukturen mit einer gesundheitsfördernden Kündigung reagieren kann?
DochAber irgendwie besteht am Rande unseres Universums Hoffnung, dass vor allem die Generation Z reagiert. Also Unternehmen meidet, die mit derartigen Großraumstrukturen arbeiten. Oder über die Qualität von Medien nachdenkt, die für derartige Mogelpackungen manipulative Werbung machen.
PS Übrigens, wer sich im brillanten Reiseführer „Per Anhalter durch die Galaxis“ über derartige Großraumbüros informieren möchte, der wird nicht fündig. Douglas Adams kennt sie nicht. In seinem Universum kommen sie nicht vor – und man kann sich auch nicht vorstellen, wie sie in irgendeinem zivilisierten Universum vorkommen können. Aber er kennt Radios und beschreibt sehr zutreffend, wie „ein elektrischer Bleistift quer durch die Kabine und den Luftraum des Ein/Aus-Sensors des Radios flog“. Vielleicht hätte der Autor dieser Zeilen das bei dieser Sendung früher machen sollen.
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