Ritas Welt: „Papa, trau Dich – lieber nicht!“ (ARD)

31. Januar 2015

Aktuelle Beiträge der ARD über die Arbeitswelt sind entweder überkritisch (wie Amazon und Daimler) oder beschreiben bilderstark Traumwelten. Kritische Relativierungen fehlen oftmals, obwohl sie sich aufdrängen – so wie bei „Papa, trau Dich“ von Rita Knobel-Ulrich. Denn hier würde man sehen, dass es nicht um Väter vs. Mütter gehen sollte, sondern um grundsätzlichere Probleme.

Papa, trau Dich nicht.

Einsam sitzt der Autor des Reiseführers „Per Anhalter durch die Arbeitswelt“ um 22:45 Uhr vor dem Fernseher und schaut sich eine ARD-Dokumentation an: 45 Minuten lang sieht man Väter in Elternzeit, die mit Babys auf dem Boden krabbeln und Wäsche aus dem Trockner holen (nachdem sie diese einen Tag lang darin trocknen ließen), die Kinderlieder singen und sich mit Frauen über Erziehungsprobleme austauschen, manchmal aber auch Männer treffen, mit denen sie über Autos sprechen.

Doch einige Fragen werden nicht gestellt und deshalb auch nicht beantwortet.

Frage #1: Ist es wirklich „natürlich“, dass Männer und Frauen im Betrieb mehr arbeiten müssen, nur weil ein Vater (oder eine Mutter) zu Hause ein Kind betreuen will?

Vermutlich nicht. Die Aussage eines Vaters, dass jetzt „natürlich“ wegen seiner Elternzeit andere Männer und Frauen mehr arbeiten müssen, stimmt vermutlich empirisch, gilt aber auch für Mütter in Elternzeit. Das bedeutet aber nicht – und darauf geht Rita Knobel-Ulrich mit keinem Wort ein – dass eine derartige Arbeitsverdichtung richtig und „natürlich“ ist. Warum aber kein Hinterfragen? Hier muss man Rita Knobel-Ulrich in ihrem persönlichen Kontext sehen: Sie ging vor geraumer Zeit ziemlich kritisch mit Hartz-IV-Empfängern ins Gericht und sprach sich dagegen aus, dass die Gemeinschaft arbeitsunwillige Hartz-IV-Empfänger finanziert. Für diese Aussage bekam sie im Internet viel Prügel.

Frage #2: Wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf dadurch erhöht, dass der Vater zu Hause bleibt und die Mutter arbeitet?

Definitiv nicht. Und das ist die große Problematik dieses Films. Es wird immer von „Vereinbarkeit Familie und Beruf“ gesprochen. In Wirklichkeit geht es aber in diesem Film nahezu ausschließlich darum, dass öfters die Väter zu Hause bleiben sollen/wollen und die Mütter arbeiten „dürfen“. Anders als es Rita Knobel-Ulrich sieht, hat so ein Rollentausch nichts mit Familienfreundlichkeit zu tun. Denn zu Familienfreundlichkeit gehört bekanntlich wesentlich mehr.

Frage #3: In welchen Fällen nehmen Väter und wann Mütter Elternzeit?

Hierzu liefert Rita Knobel-Ulrich interessante Hinweise. Wenn man ihre Fälle vergleicht, dann geben primär ökonomische Gründe den Ausschlag: Nur wenn die Frau den besseren Job hat, dann bleibt der Mann zu Hause. Würde diese These der ökonomischen Begründung stimmen, so ist der simple Hinweis darauf, wie wenig Väter Elternzeit nehmen, irrelevant. Interessant wäre deshalb die Zahl der Elternteile (egal ob Männer oder Frauen), die Elternzeit nehmen, obwohl sie die besseren Berufsperspektiven haben.

Frage #4: Ist dieses „Papa, trau Dich“ in Wirklichkeit ausschließlich ein Frauenförderprogramm?

Vermutlich ja. Rita Knobel-Ulrich beschäftigt sich in ihren sonstigen Filmen normalerweise mit Frauen, egal ob sie in der Armee, als Pflegerinnen oder als Prostituierte arbeiten. Oder sie schreibt für die Zeitschrift EMMA. Dementsprechend geht es in diesem Film auch nicht ansatzweise um die wirklich wichtige Familienorientierung, sondern ausschließlich um die Optimierung der Karriere von Ehefrauen durch verstärkte Übernahme von Erziehungszeiten durch Ehemänner. Also nicht: „Papa, trau Dich“, sondern „Papa, da bist jetzt Du dran“. Wohlgemerkt: Dagegen spricht nichts. Nur sollte Rita Knobel-Ulrich das klar kommunizieren.

Frage #5: Was ist denn die beste Rollenverteilung?

Genau diese Frage darf man überhaupt nicht stellen, denn sie ist Unsinn. Der Film gibt aber trotzdem darauf eine klare Antwort: Die Väter, die Vollzeit arbeiten, sind die Rabenväter, die Väter in Elternzeit die „Guten“. Und Mütter, die es Vätern erlauben, bei den Kindern zu bleiben, sind die „Guten“, diejenigen Väter aber steinzeitlich, wo die Mütter für die Kinder sorgen. Sicher sind diese Antworten von Rita Knobel-Ulrich in der aktuellen gesellschaftspolitischen Diskussion absolut mehrheitsfähig. Aber sind sie deshalb richtig?

Frage #6: Ist es für Männer gefährlich, Elternzeit zu nehmen?

Hier lautet die Antwort ganz klar „ja“ – und das ist alles andere als gut. Aber das hört man bei Rita Knobel-Ulrich in ihrem Film nur in kleinen Nebensätzen. Dem einen Vater wurde gekündigt, der andere bekam eine andere Stelle zugewiesen. Und darauf, wie die Rückintegration klappt und wie mit der verringerten Leistungsfähigkeit in Teilzeitprogrammen umgegangen wird, geht Rita Knobel-Ulrich auch nicht ein. Nur Elternzeit ist tatsächlich karrierebezogen gefährlich für Männer wie Frauen, vermutlich sogar für Väter noch gefährlicher ist als für Mütter. Denn Väter-Elternzeit ist weniger üblich und die Reaktion von Unternehmen allein schon deshalb heftiger, weil man – anders als bei Frauen – nicht mit diesem Vorfall rechnet. Das ist traurig und ungerecht, aber trotzdem hätte Rita Knobel-Ulrich dieser Warnung für Väter etwas mehr Raum geben sollen.

Frage #7: Wie sollen Unternehmen grundsätzlich mit der sich abzeichnenden Abwesenheitskultur umgehen?

Auch bei noch so guter Planung ist es ein Problem für das Unternehmen, wenn der Vater oder die Mutter lustig zwischen 80% und 40% und 60% und 0% Teilzeit wechselt. Das ist nur möglich, wenn es eine Großzahl völlig gleicher Arbeitsplätze gibt. Alles andere wird zum Problem. Und es wird erst recht zum Problem der Kollegen, denn sie müssen im Regelfall einspringen und Mehrleistung erbringen, sofern kein adäquater Ersatz eingestellt wird. Wenn sich dann das Gefühl breit macht „Warum muss ich jetzt mehr arbeiten, nur damit er zu Hause mit dem Kind spielen kann“, dann kommt es zur Demotivation bei den Männer und Frauen, die Mehrarbeit zu erbringen haben. Im Extremfall werde diese krank, weshalb die dann noch verbleibenden Männer und Frauen noch mehr Arbeit bekommen . Ergebnis: eine fatale Abwesenheitskultur.

Frage #8: Warum führt man nicht ein „gleiches Recht für alle“ ein, bei dem für Männer wie für Frauen eine achtmonatige Weltreise genauso behandelt wird wie acht Monate Kinderbetreuung?

Das Argument, Eltern profitieren vom Umgang mit ihren Kindern, ist richtig, auch wenn es bei Rita Knobel-Ulrich erkennbar nur vorgeschoben ist. Es bleibt aber richtig und damit ein wichtiges Argument. Genauso profitieren Männer und Frauen aber auch von einer achtmonatigen Weltreise, von einer Auszeit im Gemüsegarten oder vom Schreiben eines Buches. Und vielleicht muss man Angehörige pflegen, die man eben nicht in ein Pflegeheim abschieben möchte. Es gibt also viele Gründe die dafür sprechen, nicht oder weniger zu arbeiten. Wenn wir derartige Freistellungsregeln nur auf Elternzeit anwenden, ist das nicht nur Diskriminierung, sondern schlicht und ergreifend ungerecht. Diese Freiheiten sollten für alle gelten – und der Elternteil, der längere Zeit seine Kollegen durch seine Elternzeit in Mehrarbeit geschickt hat, muss eben später nach der Rückkehr an den Arbeitsplatz etwas auf die abendlichen Spielrunden mit dem Kind verzichten, weil eben sein Kollege jetzt einen längeren Urlaub am Amazonas oder seine Kollegin ihren MBA-Abschluss macht. Wäre nicht das und nur das gerecht?

Nachtrag:

Derartige Anmerkungen hat der Autor dieses Reiseführers der Journalistin Rita Knobel-Ulrich einen Nachmittag lang auf ihren Wunsch in ihre Kamera gesprochen. Dieses Interview hat er sogar mehrfach gegeben, denn einmal war der Hintergrund-Ton zu laut, einmal das Mikrofon nicht eingeschaltet und am Ende war nur noch totale Ermüdung auf beiden Seiten. Trotzdem standen seine Anmerkungen zu den Problemen einer Abwesenheitskultur noch in der Vorankündigung der ARD, weshalb der Autor dieses Reiseführers auch brav und erwartungsvoll vor dem Fernseher Platz genommen hatte.

Je länger der Film aber lief, umso mehr musste die Vorfreude auf den eigenen Auftritt in der ARD der Angst weichen, in dieser Traumwelt als Störenfried ins Bild zu kommen. Denn in dieser glückseligen Welt, die Rita Knobel-Ulrich mit romantischen Bildern wie aus der Pamperswerbung darstellt und bei der sich die Journalistin gar nicht satt sehen kann an krabbelnden Babys mit krabbelnden Vätern, da würden solche Fragen einfach nicht passen. Aber dann war zum Glück um 23:30 Uhr der Film zu Ende und jegliche kritische Frage aus dem Film geschnitten. Die Gefahr, in diese Rosamunde-Pilcher-Welt zu platzen, war gebannt. Also: Freude pur und unbegrenzte Erleichterung. Noch nie hat es so gut getan, mit seinen Ansichten Opfer der Harmonie-Schere von Journalisten geworden zu sein!

Es bleibt aber das grundsätzliche Problem, denn es gibt bei der ARD nur zwei Arten von Filmen über die Arbeitswelt: Die einen sind die durchaus richtigen und wichtigen, in denen Firmen wie Amazon und Daimler massiv an den Pranger gestellt werden. Die anderen sind Filme wie die von Rita Knobel-Ulrich, bei der eine schöne Traumwelt beschrieben wird. Beides passiert ohne jegliches kritisches und sachlogisches Hinterfragen. Dahinter stecken bei der ARD Methode und Absicht, denn auch andere Romantik-Dokumentationen bei der ARD kommen ohne kritischen Kommentar aus – so der einige Monate davor gelaufene Film von Liz Wieskerstrauch über die Mitarbeiter, die ihr Gehalt selber festlegen und sich auf ihre Herzlichkeitsbeauftragte verlassen können.

Und das bringt den Berichterstatter zu einer letzten Frage, die aber aus Gründen der politischen Korrektheit unbeantwortet bleibt:

Frage #9: Warum bringt die ARD keine Filme, in denen die Arbeitswelt auch einmal kritisch-konstruktiv thematisiert wird?

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P.S.: Wer sich einmal in „The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy“ von Douglas Adams umsieht, wird keine so besonders große Problematik darin erkennen, wenn Kinder von ihren Vätern erzogen werden. Es ist dort „nicht einmal ein Problem, wenn man bei einer Reise durch die Zeit zufällig sein eigener Vater oder seine eigene Mutter wird. Auch das ist kein Problem, mit dem eine gut aufeinander eingespielte Familie nicht fertig würde.”

 

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