Work-Life-Blending wird als globaler Trend gefeiert. Aber wirklich überall? Ganz sicher nicht. Der Reiseführer „Per Anhalter durch die Arbeitswelt“ bringt uns zu einem Gegenbeispiel, das nicht nur Aschenputtel gefallen würde.
Auf unserer abwechslungsreichen Reise durch die wunderbar-verlogene Arbeitswelt begegnet uns eine zunehmend dynamische Hyperflexibilität: Diese soll für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zugleich gelten, vor allem aber erfreuen sich Unternehmen an der Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit ihrer Mitarbeiter. Je nach Auftragslage sollen diese länger bleiben, nach dem Abendessen noch Emails beantworten und auch am Wochenende „zeitnah“ reagieren, das alles gilt als Merkmal der neuen Arbeitswelt – getrieben durch die Digitalisierung und die Globalisierung. Und wenn es notwendig ist, wird Crunch-Time gemacht und Mitarbeiter sind 24/7 mit der Fertigstellung eines Projektes beschäftigt.
Work-Life-Blending: (1) Gefährliches Ineinander-Übergehen von beruflicher und privater Sphäre; (2) von Ideologen des New Work lautstark gefordert, weil von Unternehmen innig geliebt; (3) von Mitarbeitern als Zwangssystem eher abgelehnt; (4) selten gut für Produktivität oder Kreativität; (5) fatal für Familienleben und Freundeskreis, aber auch für Gesundheit und Spaß am Leben; (6) verständlicherweise von der FDP gefordert; (7) verblüffender Weise auch von der SPD, der Hans-Böckler-Stiftung sowie INQA als absolut alternativlos unterstützt.
An dieser Stelle soll es jetzt aber nicht darum gehen, die fatale Dynamik der „Mogelpackung Work-Life-Blending“ zu beschreiben. Zum einen fand diese Abrechnung bereits ausführlich an anderer Stelle (in einem kleinen Büchlein) statt. Zum anderen ist in Deutschland „Work-Life-Blending“ derartig „Mainstream“, dass man eigentlich nicht mehr darüber diskutieren sollte. Nur: Das mag für Kongresse und personalwirtschaftliche Leitmedien gelten, die – von Ausnahmen abgesehen – diesem Prinzip wunschgemäß huldigen. Es gilt aber nicht für den Reiseführer „Per Anhalter durch die Arbeitswelt“.
Insidertipp: Das Aschenputtel-Prinzip ist eine Bezeichnung für die Work-Life-Separation, wie sie in Skandinavien praktiziert wird.
Bevor jetzt spitzfindige Verfechter von Work-Life-Blending aufgeregt darauf hinweisen, dass das nicht für alle Menschen in Dänemark und Schweden oder Finnland und Norwegen zutrifft, dass das alles natürlich nicht immer ganz glatt läuft und dass das alles nicht in Deutschland funktioniert, die Antwort auf diese drei Argumente: „Richtig – Richtig – Falsch“.
Aschenputtel #1: Klare Definition der Arbeitszeit
In Schweden gilt seit 2010 die Arbeitszeitregelung „Flexitime“. Danach wird zwischen 7:00 und 9:00 Uhr mit der Arbeit begonnen und nach einer klar definierten Stundenzahl nach Hause gegangen. Flexitime entspricht auf den ersten Blick der gleitenden Arbeitszeit (Gleitzeit) in Deutschland. Was aber völlig anders ist: Das Zeitfenster am Anfang ist ebenso vorgegeben wie die Tatsache, dass nach den vereinbarten Stunden alle nach Hause gehen.
Aschenputtel #2: Trennung zwischen Beruf und Privat
Nach Hause gehen bedeutet hier das Ende von „Beruf“ und den Anfang von „Privat“. Im Blog „Soziologen-Labor“ wird dieser Vorgang treffend wie folgt beschrieben: „Die Dänen, die eine ähnliche Arbeitskultur wie die Schweden verteidigen, nennen die Zeit direkt nach Feierabend ‚Aschenputtel-Stunde’. Das ist die Stunde, in der auf wundersame Weise alle ihren Arbeitsplatz verlassen, ihre Kinder aus der Schule abholen, im Chor singen oder auf der Ostsee herumpaddeln.“
Aschenputtel #3: Privatleben ist unantastbar
Der Feierabend ist heilig und Mitarbeiter können sich bei ihren Chefs nicht durch Überstunden profilieren, sondern fallen lediglich als unorganisierte Menschen mit schlechtem Zeitmanagement und fehlender Sozialkompetenz auf. Solch groteske Zustände, wie sie Andrea Nahles in ihrem Video „Was macht eigentlich der Dino im Fahrstuhl?“ als Vorbild präsentiert, sind in Skandinavien undenkbar.
Aschenputtel #4: Privatleben als Taktgeber
Beim Work-Life-Blending dominiert im Regelfall die Arbeit. Beim Aschenputtel-Prinzip orientiert sich die Arbeit am Privatleben, beispielsweise an der Schule der Kinder beziehungsweise dem Schulschluss oder anderen Aktivitäten. Dazu gehören auch passende Kindergartenzeiten, die aber nicht auf einen 24-Stunden-Service hinauslaufen.
Aschenputtel #5: Gelebte Lebensfähigkeit
Wie wir aus der Systemtheorie wissen, bestehen lebensfähige Organismen nicht aus völliger Vermischung. Egal, ob Gehirn oder andere Organe: Es gibt immer klar voneinander abgegrenzte Einheiten, die zu klar abgegrenzten Zeiträumen dezidierte Aktivitäten ausüben. Genau das bedeutet „lebensfähig“. Genau das praktiziert das Aschenputtel-Prinzip mit der Trennung von Berufs- und Privatleben.
Aschenputtel #6: Nachdenken über den 6-Stunden-Tag
Inzwischen wird an der Optimierung des Prinzips gearbeitet, und zwar in Richtung auf den 6-Stunden-Tag beziehungsweise die 4-Tage-Woche. Auch wenn man hier über Details diskutieren muss: Tendenzen wie in Österreich (12-Stunden-Tag) und Deutschland (Verlängerung der täglich zulässigen Arbeitszeit) sind danach auf jeden Fall ausgeschlossen – und trotzdem scheint die Wirtschaft in Dänemark und Schweden nicht zusammenzubrechen.
Aschenputtel #7: Betriebswirtschaftliche Vernunft
Alles das entspringt keineswegs einer sozial-romantischen Utopie. Es ist betriebswirtschaftlich vernünftig: Work-Life-Blending macht krank, verhindert Kreativität, zerstört Familien. Das Aschenputtel-Prinzip macht Menschen produktiver, gesünder und glücklicher.
P.S. Skandinavier sind nicht dafür bekannt, dass sie keine Leistung bringen. Ganz im Gegenteil. Ihre Wirtschaftsmaschine funktioniert bestens – nicht trotz, sondern wegen konsequentem Work-Life-Separation und sukzessiver Arbeitszeitreduktion. Es ist schon erstaunlich: Überall wollen wir die Skandinavier kopieren und schauen neidisch auf das Schulsystem sowie auf die Frauenquote. Nur bei der Arbeitswelt drehen sich unsere lautstarken Protagonisten vom Work-Life-Blending verschämt weg, weil derartig neues Denken nicht in ihr veraltetes Konzept einer feudalistischen Arbeitsorganisation passt. Aber zum Glück gibt es ja den Reiseführer „Per Anhalter durch die Arbeitswelt“: Er klärt auf – auch jenseits vom Mainstream.
P.P.S. Diesmal scheint uns Douglas Adams im Stich zu lassen, denn vom ihm gibt es keine passende Weisheit – weder zum Aschenputtel, noch zum Aschenputtel-Prinzip. Es gibt lediglich etwas zu Hochzeit des blanftischen Thronfolgers Prinz Dupp mit Prinzessin Baukii von Zotel Alpha, die im Hoheitsgebiet von Djanjy stattfinden soll. Aber vielleicht verschwindet Baukii ja plötzlich, so plötzlich wie die zwei SPD-Politiker am letzten Freitag – von denen der eine als Noch-Parteivorsitzende gut daran getan hätte, das Aschenputtel-Prinzip nach Vorne zu tragen und der andere als Bald-Nicht-Mehr-Außenminister vielleicht etwas mehr über die Bald-Schon-Parteivorsitzende (siehe Oben) nachdenken hätte müssen.
3 Comments
Ich entdecke in meiner Arbeitsumwelt Verfechter beider Prinzipien plus eine Dritte. Gruppe 1 gefällt sich modern und immer erreichbar (und mancher ist dabei auch inhaltlich fortwährend gut, …. die meisten aber eher Schein- als Sein-Leistungserbringer) und fordern diese „zeitnahe“ Ereichbarkeit plus die Joberledigung auch ein. Grupper 2 sind die o.beschriebenen Aschenputtel und können sich das solange leisten, wie man sich den Job aussuchen kann: am besten alle 1 bis 2 Jahre den AG wechseln (Programmierer) und wirklich an das eigene Leben denken. Gruppe 3 ist im Angestelltenjob wie Gruppe 2, versucht aber nach Feierabend mit eigenen Projekten reich und berühmt zu werden und mutiert dann gerne zu einem Gruppe1 Menschen 🙂 Lange Rede, kurzer Sinn: toller Blogbeitrag!
Interessante Erweiterung mit Gruppe 3.
Und jetzt kann man noch das Wort „gerne“ alternativ durch „häufig“, „unfreiwillig“ oder „zunächst begeistert“ ersetzen.
Chance von Gruppe 3: entweder reich und berühmt oder Frau kennenlernen. In beiden Fällen hat es sich dann mit Gruppe3 Zugehörigkeit 🙂 … bleiben also nur New Work un Aschenputtel.