Die Deutsche Bahn will ihren Mitarbeitern mit rosa Brillen Kundenfreundlichkeit beibringen. Diese „rosa Personalentwicklung“ wirkt angesichts der fundamentalen Probleme der Deutschen Bahn grotesk, ist aber letztlich symptomatisch für genau diese fundamentalen Probleme und damit ein Zwangseintrag in den Reiseführer „Per Anhalter durch die Arbeitswelt“.
Der Autor des inzwischen allseits bekannten und wegen seiner Harmlosigkeit überall beliebten Reiseführers „Per Anhalter durch die Arbeitswelt“ liest beim Frühstück gerne Zeitung. So auch am heutigen Sonntag, wo er wieder einmal versucht, sich durch entsprechende Lektüre eine Meinung zu bilden. Doch plötzlich erstarrt er, lässt den in Ahorn-Sirup getauchten Pancake von der Gabel fallen und liest „Mit rosa Brillen und Dart-Pfeilen: So lernen die Schaffner bei der Deutschen Bahn Kundenfreundlichkeit“.
Das Ganze ist einfach abenteuerlich, denn es geht doch nicht darum, dass man freundlich wirkt, sondern darum, kundenfreundlich zu sein! Oder doch nur darum – wie es in der Zeitung steht –, „die Ahnungslosigkeit mit einem Lächeln rüberzubringen“? Nur, was nützt es, mit Essstäbchen im Mund das Lächeln zu üben, wenn es bei der Deutschen Bahn grundsätzlichere Probleme gibt?
Der Reiseführer „Per Anhalter durch die Arbeitswelt“ liefert hierzu wieder einmal einen pointierten Eintrag: „Rosa Personalentwicklung ist (1) nicht das, was man denkt, sondern ein (2) von der Deutschen Bahn erfundenes Prinzip, bei dem (3) fundamentale Probleme der Personalarbeit und der Unternehmensorganisation durch (4) scheinbare Freundlichkeit angegangen werden, bei der es darum geht, (5) Ahnungslosigkeit und Kontrollwahn mit einem Lächeln an den Kunden zu bringen“.
Übrigens gab es laut dem Archiv dieser meinungsbildenden Sonntagszeitung dieses Seminar für Schaffner vor einem Jahr schon einmal in Regensburg. Erstaunlich auch: Offenbar geht bei diesen Seminaren nur um den Nahverkehr. Noch erstaunlicher: Über Personalentwicklung im oberen Management steht nichts dabei. Aber das alles spielt jetzt keine Rolle.
An dieser Stelle kann Gleis 2 am Mannheimer Hauptbahnhof zur Anschauung empfohlen werden. Dort gibt es eines der schönen Häuschen mit dem Schild „Aufsicht“ – mehr als nur eine Symbolik. Und von dort fährt abends ein IC/EC-Zug nach Saarbrücken. Mit etwas Glück erlebt man dort Dutzende von Fahrgästen, die von einem anderen Gleis zu genau diesem Zug jagen … und eine „Aufsicht“, die dafür sorgt, dass der Zug nicht etwa 30 Sekunden wartet. Nein – obwohl der Zug auf der Strecke nach Saarbrücken spielend mehrere Minuten aufholen kann, drückt der Aufsichtsbeamte trotz der heranstürmenden Gruppe punktgenau auf den Knopf für die Abfahrtsansage, wenngleich ganz schnelle Läufer den Zug noch mit der Hand hätten berühren können. Ob diese menschenfreundliche Aufsicht eine Lächelgymnastik mit Essstäbchen gemacht hat? Irgendwie bezweifelt man das. Doch warum scheint sie sich angesichts der wütenden Fahrgäste zu freuen?
Fragen Sie doch bei der nächsten Verspätung der Deutschen Bahn den Schaffner einmal „Warum haben Sie denn schon wieder Verspätung?“. Vielleicht kommt die wunderschöne Standardantwort: „Wieso ich? Ich habe doch mit der Verspätung der Bahn nichts zu tun. Ich kontrolliere nur Fahrscheine!“. Oder die nicht viel hilfreichere Standardantwort Nummer zwei: „Das ist keine Verspätung, das ist eine Verzögerung!“.
Letztlich sollte man das ganze Personalmanagement der Deutschen Bahn einmal gründlich unter die Lupe nehmen, sicherlich eine interessante Aufgabe für den Personalvorstand Ulrich Weber (Nachfolger von Margret Suckale). Ansatzpunkte gibt es genug:
Stichwort Personalselektion. Hier wäre folgende Frage an potenzielle Zugbegleiter interessant: „Wenn Sie nicht Schaffner wären, was würde Ihnen Spaß machen: (a) Radarfallen wegen zu schnellen Fahrens auf der Autobahn aufbauen, (b) Strafmandate wegen falschen Parkens verteilen, (c) Touristen durch Ihre Heimatstadt zu führen?“. Vielleicht sollten in Zukunft mehr Personen eingestellt werden, die (c) antworten.
Stichwort Personalentlohnung. Vielleicht sollte man variable Bezüge aller Mitarbeiter der Deutschen Bahn – von Schaffnern bis zu Vorständen – deutlich und spürbar in Abhängigkeit von der Verbesserung der Kundenzufriedenheit gestalten.
Stichwort Unternehmenskultur. Dieses Thema wäre abendfüllend. Man braucht nur an die Tafeln mit den kumulierten Verspätungen zu erinnern, die wegen zu vieler Verspätungen abgeschafft wurden. Oder auf Wortschöpfungen wie „Fahrzeitverlängerung“ anstatt von Verspätung – vielleicht schon als Vorgriff auf eine Zusatzgebühr, die erhoben wird, wenn der Zug länger braucht und man länger die Sitzkissen im Zug nutzt.
Es geht also nicht nur um Personalentwicklung – wenngleich auch hier viel zu tun ist. Es geht um eine grundsätzliche Einstellung zum Kunden und zum Mitarbeiter. Wie kann man Mitarbeitern „Lächeln“ beibringen wollen, wenn die Probleme auch ganz woanders liegen – unter anderem an der Inkompetenz und der Ignoranz der Zugleitung? Oder vielleicht an der Unternehmensleitung? Hatte nicht die Deutsche Bahn ihre Mitarbeiter systematisch „untersucht“ (Stichwort „Datenaffäre“) ? Gab es nicht die Schlagzeile „Bahn-Vorstand: Gehälter um 300 Prozent gestiegen“? Und hatte nicht jüngst die Deutsche Bahn durch verdeckte PR-Blogger im Internet für Ärger gesorgt?
Nein, das Ganze ist einfach nur traurig und da helfen auch keine chinesischen Essstäbchen. Bahnfahrten könnten so schön sein …
P.S.: Wenn man Douglas Adams mit seinem Reiseführer zu Rate zieht, sollte man sich weniger mit Zügen als mit Sonnenbrillen beschäftigen … beziehungsweise natürlich mit Handtüchern, über die selbstredend viel in diesem Reiseführer „Per Anhalter durch die durch die Galaxie“ geschrieben wird. Beispiel gefällig? „Arthur sagte: ‚Das ist nicht mein Handtuch! Das hier ist rosa! Mir ist klar, dass dies kosmisch gesehen wahrscheinlich unwichtig ist, aber komisch ist das alles.’ Plötzlich ein rosa Handtuch statt eines blauen mit gelben Sternen. Ford begann, sich sehr merkwürdig zu benehmen, eigentlich auf eine Art und Weise zu benehmen, die merkwürdig anders war als die sonstigen merkwürdigen Arten und Weisen, auf die er sich normalerweise benahm.“
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