Handball: Ein Wintermärchen zum Feiern und Lernen

9. Februar 2007

Dass sich die deutsche Handballnationalmannschaft die Weltmeisterkrone erspielen konnte, hatten die wenigsten erwartet: Wie auch bei der Fußball WM, galt Deutschland nicht im Geringsten als Favorit – erst recht nicht, wenn man die Verletzungen im Vorfeld und diverse andere widrige Umstände berücksichtigt. Umso größer die Freude und umso intensiver die Feier! Also erstens: Gratulation! Und zweitens: Über den Transfer in die normale Arbeitswelt nachdenken, wo genauso Hochleistung zählt!

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Bei diesem Transfer vom Handballfeld in die Arbeitswelt kann man es sich leicht machen und auf die bekannten Stereotypen eines erfolgreichen Teams mit einem erfolgreichen Trainer setzen. Dann hat man einen visionären Trainer, hat eine Gruppe von „11 Freunden“ (oder exakter inklusive Auswechselspielern beim Handball 16 Freunden) und hat ein „alle für einen und einer für alle“. Nur: So einfach realisierbar und klar durchdacht das klingt, so schwierig umsetzbar ist es. Denn sonst wären ja auch alle anderen Weltmeister geworden und Deutschland hätte nicht fast 30 Jahre auf diesen Titel warten müssen.

Was also war anders? Um es gleich vorweg zu sagen: Nichts Spektakuläres! Es macht also auch keinen Sinn, wie bei Asterix auf einen Zaubertrank zu hoffen. Führung und Teamleistung ist altertümliche, harte Arbeit. Der Berichterstatter durfte 2003 einmal gemeinsam mit Heiner Brand auf einem großen Kongress eine Veranstaltung abhalten. In diesem sehr ernsthaften Gespräch über „Führung“ beeindruckte Heiner Brand durch viele kleine Punkte, die gemeinsam eine klare Linie ergaben, die sich jetzt auch in dieser WM wieder fand und hier zum Höhepunkt kam. Und davon kann man lernen!

Stichwort Vision: Im Märchen (und vielleicht in der WM’78 mit Vlado Stenzel) gibt es den großen Motivator, der durch sein Charisma und seine Vision (kurzzeitig) Kräfte weckt, die sonst nicht abrufbar sind. Zwar betonte Heiner Brand, dass man nicht in ein Turnier geht, um 10ter zu werden. Die eigentliche Initiative „Operation Gold“ wurde aber von den Spielern selber gestartet. Was aber Heiner Brand geschaffen hat – und das wiegt viel schwerer – ist der Rahmen, in dem dies „wachsen“ konnte. Also nicht das Bild von „nicht-so-ganz-motivierten“ Mitarbeitern, die erst durch eine „Brand-Rede“ aktiviert werden mussten. Also auch nicht der unlogische Unsinn der intrinsischen Motivation, die man erst „von extern“ wecken muss.

Stichwort Hierarchie: Auch das verläuft anders als im Märchen. Zum einen spielt Heiner Brand die Rolle des klaren Leaders eben nicht immer konsequent durch, wie jeder sehen konnte, der im Fernsehen die Dialoge in den Auszeitpausen verfolgte. Dort kamen auch Ansagen von anderen Spielern, was der TV-Kommentator mit „das ist alles gelebte Demokratie“ kommentierte. Zum anderen gibt es auf dem Spielfeld klare Hierarchien, die sich durch die Positionen, aber auch durch die tatsächliche Leistung ergeben. Also 16 Freunde ja, aber nicht 16 gleichberechtigte Freunde. Nur in einem sind alle gleichberechtigt: Im Feiern nach den Siegen! Und da belegte die deutsche Mannschaft sicher ebenfalls Platz 1!

Stichwort Ohne-Stammplatzgarantie: Vor rund einem Jahr wurde in Fußball-Deutschland hitzig darüber diskutiert, dass ein etablierter Torwart-Titan das Opfer wurde von Klinsmann’s „Spielen ohne Stammplatzgarantie“. Für Heiner Brand gibt es grundsätzlich Wettbewerb zwischen Spielern, aber nach klaren Spielregeln und mit „Zonen der Sicherheit“: So muss ein Spieler auf dem Feld nicht dauernd darüber nachdenken, ob ihn der nächste Fehlwurf aus dem Team katapultiert. Trotzdem: Wenn ein Spieler im Spiel (oder generell) eine Negativ-Phase durchläuft, dann bekommt er eine „Denkpause“ auf der Bank. Das gehört dazu und das wird von allen akzeptiert. Selbst der Startorwart wurde in der ersten Verlängerung gegen Frankreich ausgewechselt und konnte dann in der zweiten Verlängerung wieder glänzen. Also – und das wiegt schwerer als eine eher „prinzipielle Stammplatzgarantie“ – Heiner Brand vermittelt Sicherheit und Vertrauen. Nur so konnte Henning Fritz, in seinem Verein nur die Nummer drei, zur absoluten Nummer 1 im WM-Turnier in Deutschland werden.

Stichwort Ruhe und Gelassenheit: Trainer, die wie Rumpelstilzchen am Spielfeldrand herumhüpfen, sich mit Schiedsrichtern anlegen und aus Protest der Pressekonferenz fernbleiben, haben verloren (siehe Frankreich und Polen). Natürlich kann und muss ein Trainer Emotionen zeigen, vielleicht auch einmal versuchen die Schiedsrichter etwas zu beeinflussen. Ansonsten muss er aber Ruhe und Gelassenheit ausstrahlen, da sonst gerade ein Handballspiel „entgleitet“. Also gilt auch hier der Hinweis aus dem ursprünglichen Reiseführer von Douglas Adams: „Don’t Panic!“

Stichwort Perfektion: Man wird nicht Weltmeister allein durch eine große Idee. Man wird Weltmeister, wenn man weniger handwerkliche Fehler begeht. Ein schönes Beispiel lief in der zweiten Verlängerung im Spiel gegen Frankreich: Während Frankreich noch völligen Trubel um das Umziehen eines Feldspielers als Tormann produzierte, stand bereits – für den Fall der Fälle – ein umgezogener deutscher Spieler bereit. Frankreich verlor das entscheidende Etwas an Konzentration, dies gerade im entscheidenden Moment und damit letztlich das Spiel. Also: Perfektion mag vielleicht als „out“ gelten, entscheidet dann aber doch Spiele.

Fasst man diese Analysen für den Reiseführer durch die Arbeitswelt zusammen, so führt dies zu folgendem Eintrag: Egal ob man eine Handballmannschaft zum WM-Titel führt, ein Raumschiff erfolgreich durch die Galaxis steuert oder aber ein Hochleistungsteam im Unternehmen dauerhaft auf Hochleistungskurs hält, man braucht ein Führungsverhalten, das zwar von erwachsenen und selbst-motivierten Menschen ausgeht, trotzdem aber (1) Hierarchie sehr differenziert einsetzt, (2) Sicherheit verbindet mit einem Spielen ohne Stammplatzgarantie, (3) Ruhe & Gelassenheit ausstrahlt und (4) auf Perfektion im Detail achtet – auch wenn das alles vielleicht wenig spektakulär ist.

Auch dieser Eintrag kann natürlich ergänzt werden ……

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P.S.: Der (handballbegeisterte) Berichterstatter war zwar am Finaltag in Köln, aber leider weder beim Spiel noch bei der Siegesfeier. Deshalb fällt sein Bericht vielleicht auch etwas zu sachlich und zu wenig euphorisch aus. Die 50 Millionen Handballfanatiker in Deutschland mögen ihm dies verzeihen. Zum Ausgleich sei ihnen hiermit eine der wenigen „Glücksbeschreibungen“ aus dem ursprünglichen Reiseführer Per Anhalter durch die Galaxis präsentiert. Dort findet man folgende Textpassage: „Wäre es nicht vielleicht doch besser, wenn er in diesem Punkt ganz vernünftig wäre und für ein, zwei Augenblicke wieder auf den Boden zurückkehrte? Er empfand es als auf so friedliche Weise ekstatisch, dass er den Gedanken nicht ertragen konnte, darauf verzichten zu müssen. Mit dieser Sorge im Gemüt schwebte er wieder ein keines Stück nach oben ….Es war wunderbar“. Oder wie die Höhner sangen: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“

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