Gibt es etwas schöneres, als über fantastische Gebäude, eine bestechende Innenarchitektur mit traumhaften Büromöbeln nachzudenken und das Ganze mit absolut passenden Organisationsprinzipien abzurunden? Auch wenn „GroDeAcMi“ fälschlicher Weise an GroKo erinnert: Aktuell ist genau dies die ganz geheime Zauberformel für die heutige Arbeitswelt.
Die Aufgabe eines Reiseführers besteht bekanntlich darin, durch solide Informationen Blicke zu schärfen und Richtungen aufzuzeigen. Man versteht die Architektur von Städten, die Lebensart von Menschen, die Reize und die Gefahren. Genau das versucht auch dieser Reiseführer „Per Anhalter durch die Arbeitswelt“. Denn schon von Alfred Chandler wissen wir, dass bei Unternehmen Architektur, Strategie und letztlich Erfolg eng zusammenhängen.
Doch was passiert heute? Welche Muster lassen sich lokalisieren? Wenn Unternehmen sich heute für glitzernde Neubauten mit vielen Facetten entscheiden, wovon lassen sich die Firmenlenker neben Kosten und grundlegender Strategie leiten? Im Kern sind es genau vier Ziele:
Ziel 1: Wir wollen machen, was als modern gilt
Irgendwie wirkt dieses Ziel auf den ersten Blick etwas seltsam, entspricht aber der ziemlich dümmlichen Vorgabe bei der Entwicklung einer Webseite „soll so aussehen wie die Seite von Apple“. Das Ergebnis sind Gebäude, die zwar alle das Attribut „einzigartig“ reklamieren, zur Sicherheit aber abgesehen von marginalen Weiterentwicklungen genauso sind, wie alle anderen modernen Unternehmen seit rund 15 Jahren. So kann man eine schöne Linie von Unilever (Hamburg) zu The Edge (Amsterdam) ziehen, was dann zu Axel Springer (Berlin) sowie Gruner + Jahr (wieder Hamburg) führt. Übrigens: Unilever hat das Gebäude in der Hafen City inzwischen schon wiederverkauft und wird in die Altstadt ziehen, was aber natürlich nichts damit zu tun hat, dass man Fehlplanungen entdeckt hat und einen neuen Trend startet, der dann auch Berlin, Hamburg und Stuttgart, München, Frankfurt erreichen wird.
Ziel 2: Wir wollen Quadratmeter sparen
Hier schlägt der Betriebswirt zu, da überall die Immobilienkosten explodieren. Also dominiert der Key Performance Indikator “Quadratmeter pro Mitarbeiter“. Gerade vor dem Hintergrund der Digitalisierung, die ortsunabhängiges Arbeit ohne realen Kontakt ermöglicht, gibt es immer neue Ideen: So kann man als „Second Places“ die Arbeit aus dem Büro zu Starbucks, in die Bundesbahn, in den Park und in das eigene Wohnzimmer verlagern, wo andere Leute Miete und Heizkosten und alles andere zahlen. Oder man mietet für weniger wichtige Mitarbeiter preiswerte Räume im lokalen Co-Working-Space an.
Ziel 3: Wir wollen Kommunikation intensivieren
Auch jetzt bewegen wir uns auf der Ebene von Unterzielen. Um die Agilität zu erhöhen, schaffen wir Strukturen, in denen Menschen gezwungen werden, sich zu treffen. Plötzlich lautet das Ziel nicht mehr, den Abstand beispielsweise zur Konkurrenz zu reduzieren, sondern „Time to Market“ zu verkürzen. Deshalb brauchen wir Organisationsprinzipien wie Scrum, damit wir alle genau wissen, wann wir mit wem was zu besprechen haben.
Ziel 4: Wir wollen die Flexibilität erhöhen
Das klingt jetzt auf den ersten Blick eher abstrakt. Es ist auch abstrakt. Dahinter steht aber die zunehmende Erkenntnis bei unseren Unternehmenslenkern, dass sorgsame Planung, intelligente Strategien und das Streben nach Nachhaltigkeit in unserer dynamischen Welt Zeichen von Fantasielosigkeit und mangelnder Flexibilität sind. Bevor wir also Big Data und Künstliche Intelligenz dazu nutzen, solide Schichtpläne zu erstellen, sorgen wir dafür, dass unsere Mitarbeiter immer dann zur Verfügung stehen, wenn wir sie brauchen, was dann natürlich auch entsprechend flexible Gebäude mit sich bringt.
Man könnte auch noch „Transparenz“ als Ziel hinzufügen, aber dieses Wort hat neben der offenkundig positiven Konnotation auch den leicht negativen Beigeschmack von „Überwachung“. Das könnte das positive Image dieses Wandels durch Architektur beschmutzen. Also bleiben wir bei vier Zielen und kommen zur zweiten Gruppe von Mustern, die uns erklären, wie man aktuell glaubt, die Zielerreichung bei diesen vier Zielen durch Bürogestaltung zu maximieren. Dazu dominieren in Deutschland aktuell vier Gestaltungsprinzipien, mit denen im Regelfall mehrere dieser Ziele angepeilt werden.
Mittel 1: Großraumbüro
Auch wenn man das Wort „Großraumbüro“ nicht gut findet: Ist nicht „Zellenbüro“ noch schlimmer? Also versuchen wir, möglichst viele Menschen in einen Raum ohne echte Wände zu setzen. Ob jetzt 8, 20 oder 80: Je mehr, je besser und mit Worten wie „Open Space“ wird plötzlich auch der Großraum zum modernen Gadget (Ziel 1). Außerdem kosten Wände immer Platz (Ziel 2) und erfordern Türen (die man sogar schließen kann, was Ziel 3 konterkariert). Und schließlich erreichen wir maximalen Gestaltungsfreiraum, ohne irgendetwas umbauen zu müssen (Ziel 4).
Mittel 2: Desksharing
Die Statistik zeigt, dass nicht alle Schreibtische rund um die Uhr belegt sind, was auch die modernen Sensorsysteme anzeigen, die moderne Unternehmen zur Überwachung (unter anderem) der Auslastung der Schreibtische, also Auslastungsquoten, haben. Diese Quoten, die ähnlich niedrig liegen wie die von Hörsälen an einer Universität, wo am Wochenende, am Morgen, am Abend und in der Nacht selten unterrichtet wird. Deshalb die einfache Logik (und das zweite Element im GroDeAcMi): Noch besser wird es mit flexibler Arbeitszeit, wenn wir sie zum Wohle der Mitarbeiter auf den Zeitraum von 5 Uhr bis 22 Uhr flexibilisieren. Dann verteilt sich die Belegschaft über den Tag und man benötigt weniger Schreibtische.
Mittel3: Activity Based Working
An dieser Stelle kommt ein Erfolgsprinzip zum Einsatz, das seit mehr als 100 Jahren bekannt, aber eine Zeitlang etwas in Verruf geraten ist, nämlich der Taylorismus: Wir zerlegen die Arbeit von Menschen in kleine Segmente und beginnen dann mit der Optimierung. In diesem Fall bedeutet dies: Unsere Arbeit wird zerlegt in Telefonieren, Denken, Reden, Ausruhen und vieles andere mehr. Für jede dieser Tätigkeit gibt es dann eine klar definierte Arbeitsform, also beispielsweise ein Telefonhäuschen (ja, das nennt man wirklich in der modernen Büroorganisation so), einen Konzentrationsraum, einen Besprechungsraum (alternativ eine „Bushaltestelle“) oder eine Schlafkoje (aber eher selten). Mitarbeiter werden jetzt geschult oder per App gesteuert, damit sie immer die korrekte Arbeitsform für die entsprechende Tätigkeit nutzen. Im Zweifelsfall gibt es im Besprechungsraum so unangenehme Stühle, damit man sich nie lange dort aufhält oder gar keine, damit man auch mehr steht und was für die Gesundheit macht. Das mag man zwar Bevormundung nennen. Man kann es aber auch akzeptieren als das, was es ist: nämlich tayloristische Optimierung.
Mittel 4: Mitnehmer
An dieser Stelle wird es etwas schwierig, denn Mittel 1 bis 3 werden von Mitarbeitern nicht unbedingt geschätzt. Dadurch ergeben sich zwangsläufig erhöhte Krankenstände, mehr Fluktuation, geringere Innovation, Verlust an Produktivität und vieles andere mehr. Wer will beispielsweise schon freiwillig jeden Morgen um einen Schreibtisch kämpfen? Sicherlich könnte man auf Selbstheilungskräfte setzen, wonach Mitarbeiter, die Großraum, Desksharing und erzwungene Aktivitätsoptimierung ätzend finden, nur noch zu Hause, bei Starbucks arbeiten oder das Unternehmen verlassen. Sicherer scheint es aber, von Anfang an auf Heerscharen von Beratern zu setzen, die Mitarbeiter „dort abholen, wo sie stehen“ und in diese ungewollte Arbeitswelt „mitnehmen“. Diese „Mitnehmer“ – bald in einer anderen Folge unseres Reiseführers vorgestellt – „begleiten“ als Unternehmensberater den gesamten Prozess und sollen in der Philosophie von Kindergärtnern dafür sorgen, dass alle Menschen jetzt eben lernen, unabhängig von individuellen Lern- und Arbeitsstilen lustvoll und produktiv rein digital auf dem Clean Desk zu arbeiten.
Soweit zur Decodierung der Grundlogik aktueller Verhaltensmuster und zur Namensgebung „GroDeAcMi“. Doch jetzt zum Fragezeichen in der Überschrift. Nicht immer ist das, was viele machen, automatisch gut und richtig. Vielmehr muss man aus wissenschaftlicher Sicht explizit darauf hinweisen, dass Effektivität (Zielerreichung) und Effizienz (Wirtschaftlichkeit) von GroDeAcMiabsolut nichterwiesen sind, weshalb sich die warnenden Stimmen deutlich mehren. Aber angesichts vom aktuellen Hype im New Work wird es noch einige Jahre und Millionen von geschädigten Mitarbeitern brauchen, bis GroDeAcMidurch naheliegende Alternativen ersetzt wird.
P.S. Übrigens kommen bei Douglas Adams in seinem intergalaktischen Reiseführer „Per Anhalter durch die Galaxis“ auch schon derartige Gebäude vor. So liest man an einer Stelle: „Hier scheint die Sonne am allerhellsten. Sie bescheint ein Gebäude, ein hohes, schönes Gebäude, das aus zwei weißen, dreißigstöckigen Türmen besteht, die auf halber Höhe durch eine Brücke miteinander verbunden sind.“ Aber erst wenn man weiterliest, findet man etwas zur wirklichen Magie: Sie besteht im Geschäftsmodell des Reiseführers „Per Anhalter durch die Galaxis“, der genau sagt, wo es lang geht, der Menschen nicht irritiert, also abholt, wo sie gerade sind. Hier kann sich zwar jeder seine Meinung bilden, die aber bereits vorgegeben ist. Und genau das signalisiert: „Don’t Panic“. Nur leider ist die Arbeitswelt nicht ganz so einfach konzipiert wie die Galaxis und auch der Reiseführer „Per Anhalter durch die Arbeitswelt“ etwas kompliziert.
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