Vieles von dem, was aktuell im Social Media Recruiting und in der digitalen Bewerberauswahl stattfindet, ist wissenschaftlich nicht haltbar und juristisch nicht zulässig. Der Reiseführer „Per Anhalter durch die Arbeitswelt“ klärt auf und bringt die fünf wichtigsten NoGos.
Auch wenn es immer noch Zeitgenossen gibt, die glauben, dass sich nicht wirklich viel geändert hat: Ja, es gibt eine DSGVO und ein BDSG. Beides hat Konsequenzen. Und obwohl vor allem vieles falsch (Pro-Großunternehmen) gestrickt ist und Facebook allenfalls ein müdes Lächeln abringt, kann es gerade bei der Personalarbeit als Hebel genutzt werden, um den fatalen Digitalisierungswahn einzudämmen: und zwar im Interesse der Mitarbeiter und im Interesse der Unternehmen.
Also: Wie sieht es aus mit dem Roboter, der um die Ecke kommt und sich um das Recruiting kümmert?
Nehmen wir mit „expliziter Zustimmung“ und „verfahrensbezogener Offenlegung“ zwei kleine Punkte aus der umfangreichen Gesetzeswolke, so haben diese weitreichende Implikationen. Bemerkenswert: Sie alle entsprechen dem Rechtsempfinden, das schon immer im Reiseführer „Per Anhalter durch die Arbeitswelt“ artikuliert wurde.
NoGo #1: Facebook
Natürlich gibt es lustige Zeitgenossen und blauäugige Kongressveranstalter, die davon ausgehen, dass alles, was jemand auf Facebook postet, automatisch von einem (potenziellen) Arbeitgeber als „Entscheidungshilfe“ genutzt werden kann. Falsch: Facebook ist zwar öffentlich zugänglich, das bedeutet aber nicht „für alle Zwecke nutzbar“. Derartiges zu glauben, ist genauso blanker Unsinn wie die Vermutung, ein Swimming-Pool auf dem Privatgelände dürfte von jedem genutzt werden, nur weil kein kiloschweres Schloss an der Gartentüre hängt. Konkret: Einträge auf Facebook sind nicht zum Zwecke der Jobsuche gepostet. Punkt. Facebook ist kein berufliches Netzwerk und deshalb dürfen Posts auf Facebook auch nicht zur „Profil-Analyse“ und zu anderen Analysezwecken genutzt werden. Und was überhaupt nicht geht: automatisierte Analysen mit irgendwelchen Computerprogrammen. Anders sieht es bei Einträgen auf LinkedIn und XING aus – aber auch da gibt es gravierende Grenzen der Beliebigkeit.
NoGo #2: Sprachanalyse
Hier scheint ein großer Markt zu existieren. Bewerber sprechen einen Text und ein Computerprogramm analysiert es beispielsweise dadurch, indem es die Audio-File in eine Text-File transformiert und dann Textpassagen mit Referenztexten vergleicht. Gibt es da Ähnlichkeiten, so schließt man dann auf Leistungsorientierung oder auf andere Persönlichkeitsmerkmale. Oder aber man sucht auf häufiges Vorkommen von Schlüsselworten. Was auch passiert: Stimmverläufe werden analysiert. Konkret: Der Einsatz aller dieser Verfahren setzt (1) die explizite Zustimmung der Betroffenen voraus, verpflichtet (2) die Unternehmen beziehungsweise die damit beauftragten Dienstleister dazu, alle (!) Ergebnisse und alle (!) eingesetzten Methoden dem Betroffenen mitzuteilen und bei externen Dienstleistern (3) vor Weitergabe erneut eine umfangreiche Zustimmung einzuholen. Damit aber nicht genug: Denn jetzt muss noch (4) bewiesen werden, dass das Verfahren wissenschaftlich vertretbar ist. Im Ergebnis dürften für Anbieter derartiger Systeme zumindest in Europa ganz schwere Zeiten anbrechen. Dies belegen Detlef Grimm und Malte Göbel in ihrem wegweisenden Artikel (Juris die Monatszeitschrift jM, 2018, 278-285) eindrucksvoll-vernichtend am Beispiel des Sprachanalysesystems Precire.
NoGo #3: Textanalyse
Alles zuvor Gesagte gilt auch für Textanalysen jeglicher Art und das ist ein schwerer Hammer. Spätestens jetzt wird klar, dass der Traum so mancher digitaler Personalmechaniker ausgeträumt ist, die über irgendwelche nicht näher erklärbare Big Data Analysen zu irgendwelchen nicht näher erklärbaren Schlussfolgerungen kommen, die dann aber zu sehr realen Maßnahmen führen. Man muss aber auch noch weiterdenken: Denn es ist ein Mythos, dass eine automatische Mitarbeitersuche irgendwie durch mystische Kraft zu den besten Mitarbeitern führen wird. Viel mehr wird ein bestimmter Typus bevorzugt und hinsichtlich Diversity und AGG ein brand-gefährliches Spiel gespielt. Konkret: Hier wird es als notwendige Gegenbewegung zu einer Renaissance solider HR-Wissenschaft und professioneller HR-Arbeit kommen, gleichzeitig zu einem Aussterben pseudoaktionistischer Ansätze von „digitaler Personalarbeit“.
NoGo #4: Personenbezogenes Profiling ohne Zustimmung
Wenn externe Dienstleister, die sich mit der Analyse („Profiling“) von Bewerbern beschäftigen, auf #1 bis #3 oder ähnliche Verfahren zurückgreifen, dann gelten die dort gemachten Einschränkungen. Konkret: Selbst wenn alles zulässig wäre, müssen Betroffene gefragt und informiert werden. Das ist anders als bei Kriminalfällen: Da dürfte man wahrscheinlich ohne Zustimmungserklärung der Verdächtigten analysieren und Profile erstellen, aber selbst in dem Kriminalkontext müssen sich die Polizeibeamten an herrschendes Recht halten. Und noch eine Randnotiz: Wenn derartige Dienstleister für #1 bis #4 (und ganz besonders für #4) mit umfangreichen Referenzkunden für Ihre Dienstleistung werben, so könnten diese Listen bereits einen strafrechtlich relevanten Anfangsverdacht begründen – nicht nur gegen den Dienstleister, sondern gegen alle dort genannten Unternehmen (Auftraggeber).
NoGo #5: „Einfach mal“ Chatbots
Diese Frage wird noch an Relevanz gewinnen: Aktuell freuen sich Digitalisierungs- und Automatisierungsexperten über „Roboter“, die Bewerbungsgespräche führen. Sie versprechen „Sofortige Reaktion und einzigartige Candidate Experience“. Jetzt lassen wir mal aus, ob derartige Systeme wirklich wissenschaftlich fundiert sind oder nur Unsinn in Algorithmen packen. Denn zugegeben: Die Roboter sind eine spannende Vision und sicherlich manchmal besser als das menschliche Pendant. Aber auch hier treffen sich DSGVO und BDSG plus Mitbestimmungsregelungen. Konkret: Bewerber müssen nicht nur (1) informiert werden, sie müssen (2) aktiv zustimmen und (3) über die verwendeten Verfahren im algorithmischen Detail informiert werden. Zumindest alle diejenigen, die der Chatbot bereits in der Vorauswahl aussortiert, könnten sich sehr schnell zu rechtlichen Schritten entschließen. Und noch etwas: Was passiert denn, wenn die algorithmischen Details offengelegt und danach im Internet zu öffentlichem Wissen werden?
Ergebnis: Handlungsbedarf
Diese fünf Punkte sind letztlich nicht neu. Sie bilden vernünftiges Rechtsempfinden und die aktuelle Rechtslage ab. Dass jetzt hier bei vielem eine rote Karte gezeigt werden kann, das ist gut und dringend nötig. Zu stark hat sich schon der Irrglaube an die Macht der digitalen Automatik fortgepflanzt und droht immer mehr, seine Schöpfer aufzufressen. Was uns aktuell an digitalem Personalmanagement angeboten wird, ist personalwirtschaftliche Steinzeit. Und das, was teilweise auf Social Recruiting Kongressen und Data Analytics Workshops angeboten wird, ganz einfach unwissenschaftlich, fahrlässig und vor allem nicht zulässig. Deshalb gilt es aufzupassen, dass diese fünf NoGos nicht aufgeweicht werden. Unsere Technik-Euphoriker in Forschung, Politik und Hochschulen mit ihrem steinzeitlich-mechanistischem Weltbild sollten sich einbremsen und nicht permanent neue Digitalisierungsmilliarden einfordern. Sie sollten erst einmal darüber nachdenken, wie „Künstliche Intelligenz“ mit der aktuellen Gesetzeslage kompatibel gemacht werden kann und nicht danach rufen, die Gesetzeslage an fehlende Intelligenz von Computern anzupassen.
P.S. Übrigens gab es – wen wundert es – alles das schon bei Douglas Adams in seinem intergalaktischen Reiseführer. Er thematisiert rekursive Computerprogramme „die sich gegenseitig abrufen, oder Klammern, die sich unaufhörlich in einem endlosen Adressraum ausweiten und wo man sich fragt, was passiert, wenn die Klammern wegfallen?“ Und man sollte sich fragen, wie das alles jemandem erklärt werd
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