Es war ein fatales Jahr für die Motorsportabteilung von Mercedes: Nachdem vier angestrebte Titel nicht gewonnen werden konnten, jetzt auch noch ein zweiter Prozess vor Gericht, der nicht das von Mercedes gewünschte Ergebnis brachte. Und das, obwohl sich Mercedes in diesem Jahr voll dem totalen Darwinismus verschrieben hatte – interpretiert als „nur der stärkste gewinnt”. Dieses „Darwinismus Total Mercedes” (auch abgekürzt DTM) soll deshalb einen unrühmlichen Ehrenplatz im Reiseführer „Per Anhalter durch die Arbeitswelt” bekommen.
Zunächst einmal, für alle, die sich im Motorsport nicht so genau auskennen, ein kleiner Rückblick. Alle diejenigen, die sich auskennen, können den folgenden Abschnitt überspringen.
Also: Neben der Formel 1 gibt die von Mercedes und Audi geprägte Deutsche Tourenwagen Meisterschaft (DTM). Das vorletzte Rennen wurde in Barcelona gefahren. Zu diesem Zeitpunkt hatte Mercedes nur noch dann eine Chance auf den Titel, wenn die beiden in der Meisterschaft führenden Audi-Piloten nicht ins Ziel kommen würden. Spätestens seit Charles Darwin ist die Konsequenz bekannt, die man an dieser Stelle irgendwie ahnt: Die beiden Audis wurden – und da waren sich die Kommentatoren einig – von zwei in der Meisterschaft chancenlosen Mercedes-Fahrern von der Piste geschossen und mussten aufgeben. Angesichts der zerstörten Fahrzeuge nahm Audi (aus Protest) alle verbliebenen Fahrzeuge aus dem Rennen und der Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug konnte strahlend einen sechsfachen Triumph feiern – wobei aber auch nicht mehr als seine sechs Autos ins Ziel kamen.
Damit gibt es eine neue Definition für unseren Reiseführer: „Unter DTM versteht man (a) als „Deutsche Tourenwagen Meisterschaft” ein interessantes Motorsportereignis, (b) als „Darwinismus Total Mercedes” ein extrem darwinistisches Verhalten, bei dem man sich ohne Rücksicht auf Verluste zum Siegespodest durchsetzt, und dies besonders treffend illustriert durch den von Mercedes maximierten Darwinismus.”
Dieses DTM-Verhalten praktizierte Mercedes auch bei seinem obersten Rennfahrer, Fernando Alonso. Er war eigentlich als Nummer 1 gekommen, musste dann aber sehr rasch die Konsequenz von „nur der stärkste überlebt” erfahren und sich einer internen Konkurrenz mit dem Jung-Star Lewis Hamilton stellen.
Hinweis für Unternehmen: „Die Wahl einer DTM-Strategie durch das Unternehmen kann bei Mitarbeitern dazu führen, dass diese einen extremen und für das Unternehmen fatalen Opportunismus entwickeln.”
Zum Beleg für diese Aussage kann der Reiseführer durch die Arbeitswelt auf die Mercedes-Spionage-Affäre hinweisen, die man im Übrigen auch mit dem Darwinismus-Drang von Mercedes begründen könnte. Bei dieser Affäre spielte Fernando Alonso eine für Mercedes äußerst unrühmliche Rolle, als er offenbar erst seinen eigenen Rennstall zu erpressen versuchte, nur um dann mit den Mercedes-Anklägern zu kooperieren. Das Ergebnis ist bekannt: McLaren-Mercedes zahlte 100 Millionen Dollar Strafe und wurde von der Konstrukteurswertung ausgeschlossen. Alsonso hingegen konnte ohne Bestrafung weiterfahren.
Dieses Urteil war letztlich bedeutungslos, wenngleich es eine symbolträchtige Niederlage für Mercedes darstellte: McLaren-Mercedes hätte letztendlich die Konstruktionswertung ohnehin nicht gewonnen und die 100 Millionen (von denen Mercedes nur einen Teil zahlte) dürften für den Daimler-Vorstand eher in die Rubrik „Peanuts” fallen.
McLaren-Mercedes agiert in einem darwinistischen Markt und auch Alonso will sich durchsetzen. Dies führte zu einer Schicksalsgemeinschaft: Beide, McLaren-Mercedes genauso wie Alonso, wollen die Fahrer-WM gewinnen. Also muss man – egal wie – weiter zusammen arbeiten. Natürlich hätte man Alonso und Haug feuern können, vielleicht sogar feuern müssen. Nur DTM ist offenbar die Leitkultur und deshalb wird vieles dem anvisierten Ergebnis untergeordnet und Loyalität, Ethik sowie Fairness aufgegeben. Denn: Im DTM prallen brutal-feudalistischer Darwinismus und brutal-egoistischer Opportunismus ungebremst aufeinander.
Dass mit Darwinismus begründeter Opportunismus durchaus auch der Kultur von DaimlerChrysler – dem „Mutterhaus” von McLaren-Mercedes entspricht, sieht man schön daran, dass die Vorstände von DaimlerChrysler über ihre Aktienoptionspläne sogar davon profitierten (=Opportunismus), dass Chrysler abgestoßen und dem Höllenhund Cerberus übertragen wurde (=Darwinismus). Also auch hier wieder DTM! Übertragen auf die Arbeitswelt bedeutet DTM unter anderem die Einführung von Low-Performer-Programmen sowie Pflicht-Seminaren für Führungskräfte im Stil von „Wie mache ich eine Personalakte kündigungsreif?”, wobei über allem das generelle „Ich habe die Macht, ich ziehe das durch!” steht.
Hinweis für Mitarbeiter: „Die Wahl einer DTM-Strategie durch das Unternehmen verlangt auf Seiten der Mitarbeiter eine emotionale und faktische Entkopplung vom Unternehmen.”
Auch Alonso verlässt nach diesem einen Jahr das Team von McLaren-Mercedes. McLaren-Mercedes verlor letztlich durch übertriebenen Darwinismus in der Formel 1 die Fahrer- und die Konstrukteursweltmeisterschaft an Ferrari. Und man verlor bei der Deutschen Tourenwagen Meisterschaft durch das letzte Rennen dann doch auch diesen Meisterschaftstitel, diesmal an Audi. Hinzu kommen zwei unbefriedigende Motorsportprozesse, was zu einem für McLaren-Mercedes unbefriedigenden 0:6 führt. Würde DaimlerChrysler (jetzt nur „Daimler”) konsequent bleiben, so müsste als nächstes der Motorsportchef Norbert Haug in seinem privaten Mercedes auf die Strasse gesetzt werden.
Darwinismus und Opportunismus werden die zukünftige Arbeitswelt bestimmen. Nur gibt es neben dem „schmutzigen Darwinismus” vom Typ DTM vielleicht doch auch eine Form des Wettbewerbs mit „kollisionsminimierenden Regeln” und sinnvollen sozialen Verträgen. Auch Mercedes wird sich an diese Arbeitswelt anpassen lernen und erkennen, dass Darwin nicht gesagt hat, dass der Stärkste und Brutalste überlebt, sondern derjenige, der sich am besten an die aktuell gegebene Wettbewerbssituation anpasst. Und das macht man nicht mit einem Verhalten vom Typ DTM!
P.S.: In der Originalfassung des Reiseführers summt Ford (oder war es Mercedes? Oder war es Fernando?) leise vor sich hin. Nur einen Ton, der in Abständen immer wieder wiederholt wurde. Wenn ihn jemand gefragt hätte, was er da summt, hätte er geantwortet, er summe die erste Zeile des Niel-Coward-Songs „Mad about the boys”, und das immer und immer wieder. Er wäre dann darauf hingewiesen worden, dass er doch nur immer einen Ton singe. Darauf wollte er antworten, dass dies seinen Grund hat. Nur wurde er nie gefragt.
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