Jenseits vom großen Fernsehen liefen im Internetprojekt orga.tv der Universität des Saarlandes Politiker-Interviews mit Peter Altmaier, Heiko Maas und Markus Tressel. Der Zusammenschnitt dieser von Christian Scholz geführten Gespräche produziert eine virtuelle Gesprächsrunde: Sie lässt ahnen, was auf die junge Generation zukommt.
Von vier angefragten Politikern aus dem Saarland sagten mit Peter Altmaier (CDU), Heiko Maas (SPD) und Markus Tressel (Bündnis 90/Die Grünen) drei spontan zu und stellten sich einer breiten Palette von Fragen. Nur die angeheiratete Saarländerin Sahra Wagenknecht hatte in diesem Sommer überhaupt keinen Termin mehr frei. Die drei jeweils fast einstündigen Interviews deckten eine breite Palette von Fragen ab, die von Air Berlin bis zur Zukunft des Autos reichten. Speziell zur Bundestagswahl entstand jetzt ein kurzer Zusammenschnitt im CNN-Stil aus solchen Antworten, die gerade die junge Generation interessieren dürften, und die bei näherem Hinschauen interessante Schlussfolgerungen zulassen.
Kümmern sich die Parteien um die Generation Z?
Bereits bei der Durchsicht der Wahlprogramme wurde klar: Explizit kommt die junge Generation nahezu überhaupt nicht vor.
Für Markus Tressel ist die Generation Z ein „Querschnittsthema“. Diese Formulierung findet man häufig. So argumentiert auch Peter Altmaier, wenn er das Schaffen von Arbeitsplätzen in den Mittelpunkt stellt, die genauso der Generation Z zugute kommen.
Interessant: Heiko Maas will sich speziell für die Generation Z um das Thema Datensouveränität kümmern, auch wenn das – wie er hinzufügt – leider kaum jemanden richtig interessiert.
Originell: Peter Altmaier möchte, dass „alle jungen Menschen für 1 Euro am Tag mit dem öffentlichen Personennahverkehr durch Deutschland fahren können“.
Ob sich mit derartigen Punkten tatsächlich die Generation Z angesprochen fühlt?
Entschuldigende Aussagen von Politikern wie „Wir machen ja keine Politik für eine bestimmte Generation“ und „keine Klientel-Politik“ treffen nicht ganz den Kern: Denn natürlich adressieren Parteien bereits in ihren Wahlprogrammen bestimmte Altersgruppen (wie ältere Menschen) und ebenso wie diverse andere Gruppen. Nur eben nicht die Generation Z, also die nach 1990 Geborenen.
Bei aller Sympathie für die drei Politiker, die sich dem Interview stellten: Irgendwie hat man den Eindruck, dass keine einzige Partei diese Wählergruppe ansprechen will, geschweige denn sich tatsächlich mit ihren spezifischen Besonderheiten auseinandersetzt. Sicherlich fallen diese Jungwähler zahlenmäßig kaum ins Gewicht. Aber sind sie nicht dennoch wichtig für die Zukunft?
Wenn diese Generation in ihrer Jugend von politischen Parteien derartig links liegen gelassen wird, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass sie sich in Zukunft verstärkt für Politik interessiert. Auch Wahlplakate mit Politikern im Unterhemd und Sprüche wie „Digital First. Bedenken Second“ helfen nicht: Es fehlt bei allen politischen Parteien Einfühlungsvermögen in die sich teilweise bereits abgehängt fühlende Generation Z. Nur: Sollte man nicht gerade die Jugend bei Zukunftsthemen mit ins Boot nehmen?
Was macht der Dinosaurier im Aufzug?
Im Zusammenhang mit dem Mode-Thema Industrie 4.0 gibt es das schöne Video von Andrea Nahles, in dem ein gestresster Vater am späteren Nachmittag mit einem aufgeblasenen Dinosaurier das Büro für den Kindergeburtstag verlässt. Er verspricht aber, sich später kurz während des Kindergeburtstags auszuklinken und per Skype ins Büro einzuklinken.
Die Reaktion der drei Politiker auf das Video: Für Peter Altmaier waren im Video zu wenig Vorschläge. Er weist auf den „Rechtsanspruch auf Betreuung im Grundschulalter“ hin. Für Heiko Maas gibt es viele Dinge, bei denen die Digitalisierung Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eher vor Probleme stellt, aber er findet es auch richtig, die Möglichkeiten, die sie bietet, dafür zu nutzen. Markus Tressel sieht „positive Assoziationen, weil es heißt, wir geben den Leuten mehr Freiheiten und auf der anderen Seite natürlich negative Assoziationen, weil es heißt ‚ich schalte mich rein’ und ‚ich bin immer erreichbar für die Arbeit’ “.
Spätestens jetzt wird klar, worum es bei diesem Thema geht: Wollen wir tatsächlich eine totale Verfügbarkeit? Die Antwort aus Sicht der Generation Z: Ein klares „Nein!“ Und sollten nicht gerade Parteien mit einem sozialen Hintergrund darauf Wert legen, dass nicht die Arbeit der dominierende Faktor im Leben ist, es also auch echtes Privatleben und Familienleben gibt?
Ist Flexibilität eine Mogelpackung?
„Mir hat der Vorstandschef eines großen Automobilkonzerns gesagt: Früher wollten die Leute einen Porsche, einen BMW oder einen Mercedes, wenn sie als Führungskräfte bei mir angefangen haben, als Dienstauto. Heute fragen sie nicht mehr nach der Größe des Dienstautos, sondern sie fragen, ob es möglich ist Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen“, erklärt Peter Altmaier. Also: Extreme Flexibilisierung der Arbeitszeit ist angeblich stark im Interesse der Generation Z.
Nur: Wenn rund um die Uhr zumindest prinzipiell gearbeitet werden darf, entsteht Druck auf Mitarbeiter, sich anzupassen. Und spätestens dann geht es nicht mehr um eine Flexibilität für (!) die Mitarbeiter, sondern um eine Rund-um-die-Uhr-Flexibilisierung durch (!) die Mitarbeiter. Und dann? Die Führungskraft bekommt das Recht, die Flexibilisierung der Arbeitszeit zu definieren. Und die Mitarbeiter als schwächerer Partner? Sie müssen sich der Führungskraft unterordnen. Ob die Generation Z das gut findet, kann bezweifelt werden.
Da passt die Antwort von Markus Tressel eher zur Generation Z: „Ich glaub’ wir müssen eine klare Trennung machen zwischen der Frage ‚Bin ich immer erreichbar? oder ‚Kann ich auch von woanders arbeiten als im Büro?’ “. Ich weiß, dass wir auch schleichende Prozesse gesehen haben in einigen Bereichen, wo ‚Du kannst das zu Hause arbeiten…’ verwechselt wurde mit ‚Du bist jetzt immer erreichbar’ “.
Nur: Wo wurde diese wichtige Botschaft von Bündnis 90/Die Grünen im Wahlkampf ernsthaft thematisiert? Ganz klar eine verpasste Chance zur Profilierung: Denn wäre das nicht ein gutes Thema gewesen, das sogar zum Markenkern gepasst hätte?
Die Erklärung liefert indirekt Heiko Maas: „Im Wesentlichen geht es darum, dass die meisten glauben, man wird das nicht mehr trennen können.“
Work-Life-Blending wird also kommen, weil es nicht anders machbar ist?
Während die CDU die Ausgestaltung vom Work-Life-Blending eher den Betrieben überlassen will, versucht die SPD zwangsläufig-negativen Konsequenzen abzumindern: Das gilt für das Ministerium von Andrea Nahles gleichermaßen wie für die Hans Böckler Stiftung und ganz besonders für INQA, einem sehr aktiven Organ der sozialdemokratischen Willensbildung.
Aber muss man sich diesem Glauben an einen industriepolitisch-digitalen Determinismus tatsächlich in vorauseilendem Gehorsam unterwerfen? Muss man lautstarken Lobbyisten glauben, wenn sie auf den eigenen Nutzen starrend kreischend vor einem digitalen Tsunami warnen? Und auch wenn eine derartige dramatische Ideologie im nächsten Bundestag unter dem wirtschaftsliberalen Fähnchen sitzen wird: Müssen wir uns dieser Position anschließen? Kann man gegensteuern? Oder noch präziser: Müssen wir nicht gegensteuern und die Deutungshoheit über die Arbeitswelt wieder zurückgewinnen?
Werden sich Gesetze ändern?
Schaut man in die Wahlprogramme der Parteien, so sind Flexibilisierungen der Arbeitszeit zu erwarten. Wie weit sie gehen und ob sie bis zur totalen Verfügbarkeit reichen werden, ist teilweise noch offen.
Die Aussage von Markus Tressel „Man muss die gesellschaftliche Debatte führen“ ist in diesem Zusammenhang durchaus richtig. Doch: Soweit erkennbar findet diese Debatte nicht statt.
Heiko Maas spricht einen wichtigen Punkt an: „Aus Sicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kann man einer solchen Regelung, die auf mehr Flexibilisierung hinausläuft, nur dann vornehmen und auch beschließen, wenn man ein Regularium hat, das nicht nur formell sondern auch informell für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein Mindestmaß an Schutz bietet vor der totalen Verfügbarkeit. Und solange ich das nicht kenne, würde ich einer großen Flexibilisierungsreform auch nicht zustimmen.“
Wo wird dieses Regularium herkommen? Wie wird das Machtungleichgewicht ausgeregelt?
In diesem Zusammenhang ist ein Positionspapier der deutschen Personalvorstände interessant, das unter der Federführung eines zukünftigen FDP-Bundestagsabgeordneten verfasst wurde und das – um es harmlos auszudrücken – wegen der Digitalisierung für mehr Liberalisierung in der Arbeitswelt plädiert. Die dort unter anderem geforderte „Mitbestimmung light“ wird in der FDP transformiert in folgende Forderung: „Freiheitszonen für Gründer und Innovatoren. Dort solle die digitale Ökonomie erprobt werden – ohne eine zwanghafte Regulierung im Voraus durch den Staat oder die Gewerkschaften. Eingreifen könne der Staat immer noch ex post!“ Verglichen damit ist die Agenda von Gerhard Schröder ein harmloser Kindergeburtstag.
Peter Altmaier (vor dem Hintergrund der FDP-Forderung nach extremen Freiräumen für Unternehmen): „Wir wollen keine Situation haben, wo der Arbeitgeber nach Gutdünken entscheidet, wie lange der Mitarbeiter arbeitet.“
Gegenfrage: „Ist das bei Ihnen jetzt quasi eine rote Linie für Koalitionsgespräche?“
Darauf Peter Altmaier: „Nein, erst einmal wollen Wahlen gewonnen werden.“
Was passiert nach den Wahlen?
Wahlen müssen erst entschieden werden, bevor sich Politiker festlegen. Deshalb ersatzweise ein Blick in die Glaskugel. Dort erkennen wir drei hoch-wahrscheinliche Entwicklungen:
- Flexi-Gesetze! Wir werden extreme Gesetze bekommen, die aber keine Aussagen darüber machen, wer über das Ausleben der Flexibilität entscheidet. Im Zweifelsfall entscheidet demnach der Stärkere, also der Arbeitgeber.
- Flexi-Zonen! Wir werden „Freiheitszonen“ bekommen, wo Unternehmen ohne die Regulierung durch Staat und Mitbestimmung vollkommen ungestört wirtschaften dürfen.
- Flexi-Minister! Wir werden einen (Staats-)Minister für Digitalisierung bekommen, der diese „liberalen“ Schutzzonen für Unternehmen schützt und verteidigt – und zwar auch gegen die Generation Z.
Aber vielleicht kommt es doch ganz anders. Deshalb sollten wir optimistisch in die Zukunft schauen und den von den Studenten genial produzierten 15-Minuten Zusammenschnitt unserer Politiker genießen.
Und wer mehrere Stunden Zeit hat, der kann sich die drei Original-Interviews jeweils in einer Langfassung anschauen (Video Peter Altmaier, Heiko Maas, Markus Tressel).
P.S. An dieser Stelle ist ein Hinweis auf Douglas Adams und seinen Reiseführer „Per Anhalter durch die Galaxis“ unvermeidlich. Dort soll das Häuschen von Arthur Dent wegen einer Umgehungsstraße platt gemacht werden, was Arthur Dent erstaunt. Doch hätte er sich die Pläne bei der Gemeindeverwaltung angeschaut, hätte er gesehen, was auf ihn zukommt. Er hat sich aber nicht informiert. Und wenig später ist dann beim Bau einer interstellaren Umgehungsstraße die Erde im Weg – mit naheliegenden Konsequenzen. Sie waren ebenfalls kommuniziert, aber nicht registriert.
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